Wie sich die Arbeitswelt unter Recruiting 4.0 verändert
Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten eigenen Bewerbungen? Vielleicht waren sie noch mühevoll mit der Schreibmaschine getippt oder in Word zusammengesetzt? Mit einem Passbild vom Fotografen auf dem Lebenslauf und in einer schicken Mappe? Bewerbungen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt – und mit ihnen das gesamte Recruiting.
Spätestens seit der COVID-19-Pandemie hat das digitale Recruiting samt Video-Recruiting immens an Fahrt aufgenommen. Zuvor hat es mit Technologien wie Multiposting von Stellenanzeigen, CV-Parsing oder Mobile Recruiting bereits einen fulminanten Start hingelegt. Der Einsatz künstlicher Intelligenz und weiterer neuer Technologien wie Robot Recruiting oder Chatbots schafft ein spannendes Potenzial, um die Abläufe in der Personalgewinnung effizienter und kostensparend zu gestalten.
Was ist digitales Recruiting?
Der Begriff „digitales Recruiting“ trägt der Tatsache Rechnung, dass die Digitalisierung im Recruiting ebenso wie die digitale Transformation in vielen anderen Unternehmensbereichen fortschreitet. Personalverantwortliche nutzen digitale Werkzeuge, um die Personalbeschaffung effizienter zu gestalten und trotz der in vielen Branchen bestehenden Hindernisse, wie etwa dem Fachkräftemangel, die erforderlichen Mitarbeiter zu finden.
Die Digitalisierung im Recruiting umfasst verschiedenste Bereiche entlang des gesamten Prozesses der Personalbeschaffung. So beschränkt sie sich nicht auf die reine Verwaltung von Bewerberdaten, sondern unterstützt bei der Personalsuche, schafft neue Wege der Kontaktanbahnung und Kommunikation und bereitet sogar die Entscheidung für oder gegen Kandidaten vor.
Möglich wird dies einerseits über veränderte Kommunikationskanäle (etwa soziale Medien oder Messenger-Dienste), andererseits durch umfangreiche Software, die HR-Abteilungen in verschiedenen Belangen des Recruitings unterstützt.
Abgrenzung der Begriffe Digitales Recruiting und E-Recruiting
E-Recruiting (Elektronisches Recruiting) bezieht sich im Kern auf Tools und Plattformen im Personalbeschaffungsprozess wie internetbasierte Jobbörsen, soziale Medien und Bewerbermanagementsysteme.
Der Begriff digitales Recruiting ist weiter gefasst. Er umfasst Technologien, die den gesamten Rekrutierungsprozess in eine datengesteuerte, digitale Richtung lenken, sie optimieren und effizienter gestalten, zum Beispiel durch die Automatisierung von Aufgaben sowie Nutzung künstlicher Intelligenz.
Digitales Recruiting beinhaltet somit E-Recruiting.
Abgrenzung klassisches Recruiting
Von der klassischen Personalbeschaffung unterscheidet sich das digitale Recruiting längst nicht nur im Offensichtlichen – nämlich dem Verzicht auf umständliche Excel-Listen oder auf Bewerbungen in Papierform. Vielmehr geht der Trend dahin, den gesamten Prozess zu digitalisieren, vom ersten Bedarf über die Stellenausschreibung und den Eingang von Bewerbungen bis hin zum Führen von Bewerbungsgesprächen, Einstellung und Onboarding.
Ziel ist, die Recruiting-Prozesse durch den Einsatz neuer Medien und digitaler Tools so zu gestalten, dass sie effizienter und schneller ablaufen, mehr Transparenz ermöglichen und so weit wie möglich automatisiert werden. Das Leben vieler Arbeitnehmer spielt sich heute in sozialen Medien und im Internet ab. Diesem Umstand trägt der Ausbau des E-Recruitments Rechnung.
Bedeutung digitales Recruiting
Die Digitalisierung der Personalbeschaffung voranzutreiben, sollte jedem Arbeitgeber ein Anliegen sein. In der heutigen Zeit gibt es viele Gründe, warum Digital Recruiting besonders wichtig ist:
- Bewerbermarkt
Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren vom Arbeitgeber- zum Bewerbermarkt verändert. Arbeitgeber verbessern ihre Chancen, qualifiziertes Personal zu finden, indem sie mit E-Recruitment ihre Sichtbarkeit erhöhen und sich durch den alltäglichen Umgang mit modernen Medien als attraktiver Arbeitgeber präsentieren.
- Effizienz
Mehr Effizienz im Recruiting ist aus zwei Gründen wichtig. Zum einen ist der Fachkräftemangel auch im Personalwesen angelangt, sodass vielerorts die Kapazität für die manuelle Verwaltung von Bewerberdaten fehlt. Zum anderen unterliegt jedes Unternehmen einem gewissen Kostendruck. Mit digitaler Software lassen sich die Kosten im HR-Bereich senken.
- Rechts- und Informationssicherheit
Die digitale Verarbeitung von Bewerbungen in modernen Bewerbermanagement-Systemen ermöglicht, mittels Berechtigungen den Zugriff genau zu regeln, rechtssichere Formulierungen zu wählen und Datenschutz-Vorgaben einzuhalten.
- Einzugsgebiet
Das digitale Recruiting bietet Arbeitgebern die Chance, Arbeitnehmer auch überregional oder sogar im Ausland anzusprechen. Dank Video-Jobinterviews und großzügigen Homeoffice-Regelungen müssen sie nicht mehr zwingend im näheren Umkreis des Unternehmens wohnen.
Digitaler Recruiting-Mix
Damit digitales Recruiting erfolgreich sein kann, muss es auf einer Vielzahl von Säulen ruhen. Es reicht beispielsweise nicht, allein auf Mobile Recruiting Apps zu setzen oder ein digitales Bewerbermanagement-System einzuführen. Der zentrale Erfolgsfaktor ist die Kombination verschiedener Säulen, vergleichbar mit dem Marketing-Mix in der klassischen Werbung. Die folgenden Werkzeuge sind wichtiger Bestandteil einer modernen Rekrutierungsstrategie.
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Online-Stellenbörsen
Für Arbeitssuchende sind Online-Jobbörsen eine gute Möglichkeit, sich über offene Stellen zu informieren und sich einen ersten Überblick über die Eckdaten zu verschaffen.
Online-Stellenportale und Social-Media-Plattformen bieten Arbeitgebern im digitalen Recruiting neben der reinen Veröffentlichung von Stellenanzeigen viele Möglichkeiten:
- Optimierung der Anzeigen für Suchmaschinen, um die Reichweite zu erhöhen
- Direkte Bewerbung über die Portale möglich
- Multiposting derselben Anzeige in verschiedenen Portalen
- Zielgerichtete Suche nach Kandidaten und direkte Ansprache möglich, z. B. in Portalen zu bestimmten Branchen oder Berufszweigen (Active Sourcing) bzw. Lebenslaufdatenbanken der Stellenbörsen
Sie bieten Arbeitgebern die Chance, sich auch mit überschaubarem Budget in mehreren Kanälen zu präsentieren und so ihre Reichweite zu erhöhen.
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Soziale Medien
Soziale Medien sind aus dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Arbeitgeber können Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok ebenso wie die eher professionell orientierten Plattformen XING oder LinkedIn nutzen, um Einblicke in das Unternehmen, die Unternehmenskultur, das Miteinander und die Entwicklungschancen zu geben.
Inzwischen gibt es neben dem Social Recruiting eine Vielzahl von Unterformen, die sich in ihren Besonderheiten jeweils an einzelne Plattformen und deren Zielgruppen anlehnen. So sprechen Arbeitgeber im TikTok-Recruiting eine eher jüngere Zielgruppe an, während bei LinkedIn vorwiegend Nutzer über 25 Jahre alt sind.
Unabhängig vom Alter eignen sich insbesondere Business-Plattformen wie LinkedIn oder XING für die Aktivierung von Talenten, die nicht aktiv auf Stellensuche sind, zum Beispiel mittels sogenannter Recruiter-Lizenzen zum Active Sourcing.
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Applicant Tracking System
Applicant Tracking Systeme werden häufig auch als digitale Bewerbermanagement-Systeme oder Bewerbermanagement-Software bezeichnet. Solche Software-Lösungen decken meist den gesamten Recruiting-Prozess ab. Dazu gehören unter anderem diese Funktionen:
- Einbindung einer Karriereseite in die Unternehmens-Website
- Automatisierung des Bewerbungsprozesses
- Automatisierte Kommunikation mit Bewerbern per E-Mail
- Multiposting von Stellenanzeigen
- Automatische Erfassung von Bewerberdaten aus Lebensläufen (CV-Parsing)
- Gewährleistung des Datenschutzes
- Anlegen eines Kandidaten- oder Talentpools
- Koordination von Interview-Terminen
- Auswertungen und Analysen
Ein digitales Bewerbermanagement ist das Herzstück des digitalen Recruitings. Hier laufen die Ergebnisse aus den weiteren Säulen des digitalen Recruiting-Mix zusammen.
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Video-Jobinterviews
Vorstellungsgespräche vor Ort bedeuten einen hohen organisatorischen und zeitlichen Aufwand. Während der COVID-19-Pandemie haben viele Unternehmen Video-Bewerbungsgespräche getestet und Gefallen daran gefunden. Mithilfe frei zugänglicher Videokonferenzsysteme können sich der Arbeitgeber und der Bewerber ortsunabhängig kennenlernen. Bei zeitversetzten Videointerviews ist dies sogar zeitunabhängig möglich. Hier beantwortet der Bewerber auf einer speziellen Plattform vorgefertigte Fragen in die Kamera. Die Aufzeichnung schaut sich der Personaler zu einem anderen Zeitpunkt an – die Gesprächspartner agieren also unabhängig voneinander.
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CV-Parsing
CV-Parsing ist ein wichtiger Bestandteil vieler digitaler Bewerbermanagement-Systeme. Die Funktion ermöglicht es, Daten aus einem Lebenslauf auszuwerten, zu identifizieren und in die entsprechenden Felder in der Datenbank zu importieren. So können Personalverantwortliche die Daten direkt auswerten, ohne den Lebenslauf im Einzelnen lesen zu müssen.
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Mobile Recruiting
Unter dem Begriff Mobile Recruiting fasst man alle Methoden zusammen, um mögliche Kandidaten per Smartphone oder Tablet anzusprechen. Dazu gehört etwa, die Karriere-Website des Unternehmens für Mobilgeräte zu optimieren, Mobile Recruiting Apps zu nutzen, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren, oder schnelle Bewerbungen von einem Mobilgerät aus in Kurzfassung zu ermöglichen.
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Künstliche Intelligenz
Die künstliche Intelligenz (KI) erobert gerade viele Branchen im Sturm – und auch im Recruiting bringt sie großes Potenzial mit. Dank maschinellem Lernen interpretiert die Maschine die zur Verfügung gestellten Daten und kann so selbst dazulernen. Dadurch eignet sie sich beispielsweise im digitalen Recruiting für die Automatisierung des Schriftverkehrs mit Bewerbern – von der Eingangsbestätigung bis zur Absage. Außerdem kann KI in Form von Chatbots Besuchern auf der Karriere-Website oder in einem internen Bereich Fragen beantworten und die HR-Abteilung bei der Formulierung von Stellenanzeigen unterstützen. Darüber hinaus gibt es schon heute viele weitere Möglichkeiten, um mit künstlicher Intelligenz die Arbeit im Recruiting effizienter zu gestalten. Selbst bei der Personalauswahl kann die KI unterstützen, etwa indem sie frei von Vorurteilen zur offenen Stelle passende Kandidaten auswählt.
Lesetipp: KI im Recruiting
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Karriere-Website
Die Karriere-Website ist meist ein Bereich der Unternehmens-Website, kann aber in Einzelfällen auch auf eine komplett eigene Website ausgelagert sein. Hier informieren Arbeitgeber Interessierte über alles rund um die Arbeit im Unternehmen, zum Beispiel:
- Aktuell zu besetzende Arbeits- und Ausbildungsstellen
- Einblicke in den Unternehmensalltag
- Vorstellung des Teams
- FAQ zum Recruiting-Prozess
- Ansprechpartner im Bewerbungsprozess
- Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten
- Benefits im Unternehmen, beispielsweise Personalrabatte, Jobrad-Angebote
Um die Seite auch im Mobile Recruiting nutzen zu können, sollte diese unbedingt für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets optimiert sein, zum Beispiel durch ein responsives Design und die Optimierung der Ladezeiten).
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Active Sourcing
Arbeitgeber können sich heute nicht mehr auf Stellenanzeigen ausruhen und darauf warten, von passenden Kandidaten gefunden zu werden. Wo qualifiziertes Personal rar ist, müssen sie eine aktive Rolle im Recruiting-Prozess einnehmen. Beim Active Sourcing begeben sie sich im Internet (z. B. in sozialen Medien) auf die Suche nach geeigneten Kandidaten und sprechen diese an. Dafür gibt es spezielle Tools, die dabei helfen, interessante Persönlichkeiten zu identifizieren und zu kontaktieren.
Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen im digitalen Recruiting ist die Entwicklung einer persönlichen Beziehung zum Kandidaten. Die Gefahr eines Absprungs kurz vor dem Abschluss des Arbeitsvertrags ist groß, wenn die Bindung noch nicht ausreichend gefestigt ist. Dies gilt besonders, wenn auch das Jobinterview digital durchgeführt wurde und die Einstellung erfolgt, ohne sich vorab live kennengelernt zu haben.
Ebenso stellt der Datenschutz hohe Anforderungen an das digitale Recruiting. Hier werden große Mengen personenbezogener Daten verarbeitet, die zwingend vor dem unbefugten Zugriff Dritter geschützt werden müssen. Zudem ist sicherzustellen, dass die Daten rechtzeitig wieder gelöscht werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden.
Candidate Experience im Digital Recruiting
Das digitale Recruiting hat das Potenzial, die Candidate Experience – also die Gesamtheit der Erfahrungen eines Bewerbers mit dem Unternehmen – positiv zu beeinflussen. Stichwort: schnelle Reaktionen und Verkürzung der Wartezeiten. Allerdings gibt es bei der Digitalisierung der Personalbeschaffung fast ebenso viele Möglichkeiten, Kandidaten zu verschrecken, sei es durch eine unpersönliche Kommunikation mit Bewerbern, unauthentisches Auftreten oder einen umständlichen Bewerbungsprozess.
Eine positive Candidate Experience ist jedoch entscheidend für eine erfolgreiche Recruiting-Strategie. Positive Erfahrungen an allen Berührungspunkten stärken den Eindruck eines attraktiven Arbeitgebers und halten die Kandidaten bei der Stange. Sie minimieren damit die Absprungrate und steigern die Auswahl an geeigneten Bewerbern. Eine negative Candidate Experience kann dazu führen, dass vielversprechende Kandidaten und Talente noch vor Abschluss des Arbeitsvertrags (oder sogar danach) abspringen.
Im Zentrum der Candidate Experience im digitalen Recruiting sollten daher bewerberzentrierte Prozesse und eine Kommunikation auf Augenhöhe stehen. Sie lässt sich etwa durch diese Maßnahmen positiv beeinflussen:
- Personalverantwortliche sollten mit den Kandidaten in Kontakt bleiben und ihnen Möglichkeiten an die Hand geben, ihren persönlichen Ansprechpartner zu erreichen.
- Arbeitgeber senken die Hemmschwelle für eine Bewerbung, indem sie die formellen Anforderungen niedrig halten und den schnellen Versand der Bewerbungsunterlagen ermöglichen.
- HR sollte sicherstellen, dass Kandidaten immer zügig eine Antwort oder Rückmeldung erhalten. Lange Reaktionszeiten wirken äußerst abschreckend.
- Der Recruiting-Prozess sollte echte und authentische Einblicke in das Unternehmen liefern, damit die Bewerber sich vorab ein Bild von ihrem künftigen Arbeitgeber und ihrem Team machen können.
Lesetipp
Preboarding ist ein Bestandteil des Onboarding-Prozesses neuer Mitarbeiter. Lesen Sie, warum diese Phase wichtig ist, obwohl sie oftmals zu kurz kommt.
weiterlesenFragen und Antworten
Hier beantworten wir Fragen zum Thema Digital Recruiting.
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Was ist Digital Recruiting?
Als digitales Recruiting bezeichnet man alle Methoden der Personalbeschaffung, die sich digitaler Medien und Technologien bedienen. Diese optimieren das Recruiting und gestalten die Prozesse effizienter. Dazu gehören e-Recruiting-Tools wie Bewerbermanagement-Systeme ebenso wie Mobile Recruiting, Social Recruiting oder Jobinterviews per Video.
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Wie funktioniert Recruiting heute?
Das klassische Recruiting beruht auf in Printmedien geschalteten Stellenanzeigen sowie auf Papierbewerbungen, die die Bewerber per Post schicken. Es hat heute zugunsten des digitalen Recruitings nahezu ausgedient. Viele Arbeitgeber nehmen keine Papierbewerbungen mehr an, sondern akzeptieren lediglich digitale Bewerbungen über Online-Stellenportale, die eigene Karriere-Website oder per E-Mail. Um mehr Bewerbungen zu erhalten, kommen außerdem Technologien wie automatisches Multiposting, Active Sourcing oder künstliche Intelligenz zum Einsatz.
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Welche Vorteile haben Arbeitgeber durch E-Recruiting?
Durch die Anwendung von E-Recruiting-Tools profitieren Arbeitgeber von vielen Vorteilen. Insbesondere können sie mit digitalen Technologien ihre Recruiting-Prozesse ganz oder teilweise automatisieren, Zeit und Kosten sparen und effizienter arbeiten. Dies kann helfen, einen kürzeren Einstellungsprozess zu realisieren und damit die Chancen auf erfolgreiche Einstellungen zu steigern.