Wirtschaftliche, gesellschaftliche und medizinische Daten bestimmen weite Bereiche unseres Lebens. Doch insbesondere Frauen werden in diesen Daten oft nicht berücksichtigt. Warum besteht dieser Gender Data Gap und was kann man tun, um hier mehr Transparenz zu schaffen?
Gender Gap Definition: Was ist der Gender Data Gap?
Eine Datenlücke, die ein bestimmtes Geschlecht benachteiligt, existiert tatsächlich. Das hat die britische Journalistin und Autorin Caroline Criado-Perez in ihrem 2019 erschienenen Buch „Unsichtbare Frauen“ anhand zahlreicher Beispiele belegt. Die Kernaussage: Viele unserer Lebensbereiche sind durch Daten bestimmt, die ausschließlich auf dem männlichen Teil der Gesellschaft basieren. So entsprechen laut Criado-Perez etwa die Sicherheitsmerkmale von Autos, die Zusammensetzung und Dosierung von Medikamenten sowie die Maße von Möbeln überwiegend den Durchschnittswerten männlicher Probanden. Die Folge ist, dass die Bedürfnisse von Frauen im täglichen Leben weit weniger berücksichtigt werden als die von Männern.
Die Autorin erklärt diese Tatsache historisch. Die meisten noch heute verwendeten Daten wurden vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten erhoben – von Männern. In früheren Zeiten war die männliche Sichtweise in allen Bereichen des Lebens dominierend, ebenso wie der männliche Körper als alleiniger Maßstab diente. Dieses Problem halte sich bis heute, so Criado-Perez. In vielen technischen Bereichen, in der IT und der Medizin würden nach wie vor Männer die Daten über ihre Geschlechtsgenossen erfassen.
Die Folgen sind für Frauen täglich spürbar. Das Regal oder die Arbeitsplatte ist zu hoch, das Smartphone zu breit, der Sicherheitsgurt im Auto sitzt falsch oder Medikamente sind zu hoch dosiert, weil der Beipackzettel nur Männer als durchschnittlichen Maßstab heranzieht. Der Gender Data Gap zeigt sich in unzähligen Bereichen und kann auch die Gesundheit und Sicherheit der weiblichen Bevölkerung gefährden.
Wie macht sich der Gender Data Gap am Arbeitsplatz bemerkbar?
Der Gender Data Gap hat mit ziemlicher Sicherheit auch Auswirkungen auf jedes Unternehmen. Ein Beispiel: die Toiletten. Üblicherweise sind sie für Männer und Frauen in Bürogebäuden jeweils gleich groß. Ist doch gerecht, glauben Sie? Nicht, wenn Sie bedenken, dass Frauen durchschnittlich mehr als doppelt so viel Zeit auf der Toilette brauchen als Männer, keine platzsparenden Urinale nutzen und erwiesenermaßen häufiger auf die Toilette gehen als Männer. Nicht nur bei Konzertveranstaltungen, sondern auch in vollbesetzten Büros können deshalb Warteschlangen vor der Damentoilette entstehen. Warteschlangen, die durch Berücksichtigung der richtigen Daten vermeidbar wären.
Ein weiteres Beispiel sind die Temperaturen in Büros. Zumindest in den USA wurde bereits in den 60er Jahren eine empfohlene Durchschnittstemperatur ermittelt, an die sich viele Büros bis heute halten. Insbesondere für jüngere Frauen sei diese Temperatur jedoch laut Criado-Perez fünf Grad zu niedrig. Kein Wunder, denn die Datengrundlage für diese Temperaturempfehlung war die Stoffwechselrate eines durchschnittlichen 40-jährigen Mannes mit 70 Kilogramm Körpergewicht.
Abseits unterkühlter Arbeitsräume zeigen sich die Auswirkungen der Datenlücke auch auf dem Arbeitsmarkt als Ganzem. Weil zum Beispiel immer mehr Unternehmen bei der Analyse von Bewerberprofilen und der Auswahl passender Kandidaten auf künstliche Intelligenz setzen, bevorzugen solche Systeme im Zweifel eher Männer. Warum? Weil die KI ebenfalls mit jenen historisch lückenhaften Daten trainiert wurde – und auf dieser Grundlage fälschlicherweise davon ausgeht, dass Männer erfolgreicher in bestimmten Berufen seien.
Welche Gender Gaps gibt es noch im Arbeitsleben?
Auf dem Arbeitsmarkt existieren noch weitere geschlechtsspezifische Unterschiede, die Frauen benachteiligen. Die wichtigsten drei:
- Gender Pay Gap
Bezeichnet die Gehaltslücke, also das Lohngefälle in der durchschnittlichen Bezahlung von Männern und Frauen. - Gender Hours Gap
Frauen arbeiten im Durchschnitt weniger lange als Männer. Das hat Auswirkungen auf Gehalt und Karriereaussichten. - Gender Employment Gap
Männer nehmen insgesamt häufiger als Frauen am Erwerbsleben teil.
Aus diesen drei Kennzahlen hat das Statistische Bundesamt einen Indikator geschaffen, den Gender Gap Arbeitsmarkt. Er soll helfen, die Ungleichheit von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt noch besser zu erfassen. Darüber hinaus existieren weitere Kennzahlen: Der Gender Pension Gap beziffert das geringere Alterssicherungseinkommen von Frauen. Der Gender Care Gap beschreibt den Mehraufwand, den Frauen im Vergleich zu Männern für unbezahlte Fürsorgearbeit aufbringen, also für Haushalt und Garten sowie für die Pflege und Betreuung von Kindern und Erwachsenen.
Können Arbeitgeber die Gender Gap(s) schließen?
Natürlich liegt es nicht in Ihrer Macht der Arbeitgeber, wirklich alle geschlechtsspezifischen Daten-Lücken zu schließen. Vieles davon ist Aufgabe der Politik, aber auch eine Frage langwieriger gesellschaftlicher Entwicklungen. Jedoch können Unternehmen durch die passenden Strukturen durchaus darauf Einfluss nehmen, dass dort alle Geschlechter möglichst gleiche Chancen und Arbeitsbedingungen haben.
Zwei grundlegende Anregungen für Arbeitgeber:
- Aufmerksam sein
Seien Sie sich über die Datenlücken und deren Auswirkungen für Frauen auf den Berufsalltag bewusst. Denken Sie etwa bei der Montage von Wandschränken und der Anschaffung neuer Büromöbel auch an Ihre weiblichen Mitarbeiterinnen. Lassen Sie sich bei Gehalts-, Beförderungs- und Bewerbungsgesprächen ergebnisoffen von der objektiven Eignung der Person leiten – und nicht von einer vorgefertigten Meinung darüber, welcher Job zu welchem Geschlecht passt.
- Flexible Arbeitsmodelle anbieten
Viele Gender Gaps werden besonders durch ein entscheidendes Lebensereignis begünstigt, die Geburt eines Kindes. Viele Frauen bleiben deshalb zu Hause und arbeiten Teilzeit. Sie arbeiten kürzer und verdienen weniger, was auch Einfluss auf die Alterssicherung hat. Um Mitarbeiterinnen den schnelleren Wiedereinstieg, bessere Karriereaussichten und höhere Verdienstmöglichkeiten zu bieten, sollten Unternehmen bestenfalls auf eine lebensphasenorientierte Personalpolitik bauen. Zu der gehören etwa flexible Arbeitszeitmodelle oder auch Kinderbetreuung im Unternehmen.