Nicht jede Gelegenheit, bei der sich Arbeitnehmer über den Chef ärgern, ist gleich ein Anlass für berechtigte Kritik. Aber klar ist auch: Der Vorgesetzte ist nur ein Mensch wie alle anderen – und deshalb höchstwahrscheinlich nicht perfekt.
Wann haben Sie sich zum letzten Mal über den Chef geärgert und dann Ihre Wut heruntergeschluckt? Haben Sie sich dabei vielleicht vorgenommen, beim nächsten Mal ganz sicher etwas dazu zu sagen? Gehen Sie dem Thema lieber aus dem Weg, weil Sie nicht wissen, wie Sie es anfangen sollen? Oder fragen Sie sich vielleicht grundsätzlich: „Darf ich meinen Chef kritisieren?“
Dieser Artikel klärt darüber auf, wie Sie den Chef kritisieren, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen. Ebenso erfahren Sie, wann der richtige Zeitpunkt für Kritik am Vorgesetzten ist und was Sie tun können, falls Ihre Worte wirkungslos an Ihrem Gegenüber abprallen.
Warum ist Kritik wichtig?
Die Frage „Darf ich meinen Chef kritisieren?“ ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Im Grunde dürfen Sie nicht nur – Sie sind vielmehr aufgefordert, sachliche Kritik am Chef zu formulieren, wenn es für Ihre Arbeit wichtig ist.
Es erfordert einen gewissen Mut und Selbstbewusstsein: Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie Ihren Vorgesetzten kritisieren müssen, gehen Sie das am besten professionell an. Halten Sie sich vor Augen, dass Feedback an die Führungskraft notwendig ist, damit Sie Ihre Arbeit so gut wie möglich verrichten können. Betrachten Sie es als Teil Ihrer dienstlichen Aufgaben, den sie ebenso gut erfüllen möchten wie alle anderen.
Erfolgreich vermittelte Kritik an der Führungskraft führt meist zu Verbesserungen, die im beiderseitigen Interesse liegen. Im besten Fall ermöglicht Kritik von Mitarbeitern eine offenere und ehrliche Kommunikation. Das verbessert das Arbeitsklima, kann sogar die Effizienz steigern und hat weitere Vorteile:
- Förderung des gegenseitigen Verständnisses
- Stärkung der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
- Vermeidung von Missverständnissen
- Effektivere Problemlösungen
Damit Kritik an einem Vorgesetzten eine wünschenswerte Wirkung entfaltet, ist es wichtig, konstruktiv zu bleiben. Das beinhaltet zum Beispiel, sachlich auf Dinge hinzuweisen und konkret auszuführen, welche Lösung besser wäre. Dem Chef die Meinung zu sagen, ist ohne konkrete Vorschläge wenig hilfreich und eher kontraproduktiv – und damit genau das, was gewöhnlich mit dem Begriff „destruktive Kritik“ gemeint ist: negative Wertung ohne Verbesserungsvorschlag.
Bedenken Sie außerdem, dass eine Meinung keine Tatsache ist. Natürlich darf jeder für sich der Ansicht sein, dass die neue Frisur dem Chef überhaupt nicht steht. Für die Arbeit jedoch ist die Mitteilung dessen nicht relevant.
Vorbereitung auf das Gespräch
Wenn Sie selbst Feedback von einer Führungskraft erhalten, dürfen Sie erwarten, dass die Person sich gut vorbereitet und informiert hat. Genauso sollten Sie auch vorgehen, wenn Sie ein Feedback an Ihre Führungskraft haben. Lassen Sie sich vor einem entsprechenden Gespräch Ihre Kritikpunkte in Ruhe durch den Kopf gehen und fragen Sie sich jeweils, welche Handlung oder Reaktion Sie sich in einer spezifischen Situation gewünscht hätten.
Es reicht nicht, dass Sie Ihrem Ärger Luft machen, indem Sie dem Chef die Meinung sagen, und dann alles so weitergeht wie bisher. Ihr Ziel ist vielmehr, sachlich Verbesserungen herbeizuführen. Achten Sie immer darauf, ausdrücklich das Verhalten des Chefs zu kritisieren, nie seine Person.
Dabei gehen Sie am besten so vor:
- klare Fakten sammeln
- zur Kritik an Führungskraft Beispiele notieren
- Verbesserungsvorschläge hinzufügen
- ruhig und sachlich die Kritik am Chef formulieren
- respektvoll und beherrscht auftreten
Die richtige Gelegenheit
Ebenso wichtig wie die richtige Formulierung ist die passende Gelegenheit für das Gespräch, wenn sie Ihren Vorgesetzten kritisieren möchten. Wer den Chef zwischen Tür und Angel abpasst, wenn gerade akuter Stress herrscht, wird für sein Anliegen nicht viel Verständnis ernten. Besser ist es, einen ruhigen Moment und einen ungestörten Ort zu wählen.
Das kann ein Nebenraum, das Büro des Chefs, oder auch ein ruhiger Tisch in der Betriebskantine sein. Ob man im Vorzimmer des Chefs um einen Gesprächstermin bittet oder den Chef ganz informell auf einen Kaffee in die Kantine einlädt, hängt stark von der jeweiligen Unternehmenskultur ab – und ist dem Fingerspitzengefühl jedes Einzelnen überlassen.
Kritik an Führungskraft respektvoll äußern
Die Kompetenz des Chefs anzuzweifeln, ist nicht zielführend, wenn Mitarbeiter den Chef kritisieren wollen. Sich respektvoll zu verhalten, ist hingegen ein gutes Signal. Es zeigt dem Vorgesetzten, dass Mitarbeiter ihm keine Ratschläge oder Befehle erteilen, sondern ihn und seine Problemlösungskompetenzen anerkennen. Das gelingt sehr gut, wenn man Kritik ohne Schuldzuweisungen in Fragen kleidet. Etwa so:
- „Ich habe eine Idee zur Verbesserung der Arbeitsabläufe. Könnten wir darüber sprechen, wie wir effizienter arbeiten können?“
- „Mir ist aufgefallen, dass es manchmal Schwierigkeiten beim Delegieren von Aufgaben gibt. Könnten wir gemeinsam über Strategien nachdenken, um das zu optimieren?“
- „Es gibt gelegentlich Unklarheiten bezüglich der Prioritäten. Könnten wir darüber sprechen, wie wir die Kommunikation verbessern, um Missverständnisse zu vermeiden?“
- „Manchmal empfinde ich den Ton in unseren Gesprächen als herausfordernd. Könnten wir gemeinsam Wege finden, um die Kommunikation freundlicher zu gestalten?“
Umgang mit der Reaktion
Führungskräfte sind oft kritikfähiger, als ihre Mitarbeiter denken. In vielen Betrieben gehört es inzwischen ohnehin zur Unternehmenskultur, dass Teams ihre Führungskräfte bewerten und ihnen Feedback geben. Doch natürlich kann es ihn auch verärgern, wenn Sie den Chef kritisieren. In diesem Fall entschuldigen Sie sich für eventuelle Missverständnisse und betonen Ihre Bereitschaft, an Lösungen im Interesse des Unternehmens oder der Belegschaft zu arbeiten.
Kritik reflexhaft abzuwehren ist menschlich – viele denken erst später in Ruhe darüber nach. Wenn der kritisierte Chef also nicht gleich mit Offenheit auf die Hinweise reagiert, ist das kein Grund zur Resignation. Manchmal zeigt sich eine entsprechende Verhaltensänderung stillschweigend in der folgenden Zeit. In dem Fall sollten Sie das keinesfalls kommentieren.
Wenn Kritik nicht ankommt
Kommt angemessen formulierte konstruktive Kritik gar nicht beim Chef an, ist das frustrierend. Je nachdem, wie wichtig das Thema ist, müssen Mitarbeiter nun entscheiden, ob sie es auf sich beruhen lassen und diese Sicht des Chefs akzeptieren – oder einen Schritt weiter gehen. Eventuell ist eine höhere Führungsebene in der Lage, das Problem zu lösen.
Für einige Punkte ist möglicherweise auch der Betriebsrat ein geeigneter Ansprechpartner. Den Chef hingegen unter Druck zu setzen oder ihm mit Kündigung zu drohen, ist keine gute Idee. Führungskräfte wissen genau, dass jemand, der diskutiert, gar nicht kündigen will. Wer ernsthaft kündigen will, kündigt einfach. Daher geht diese Drohung in den meisten Fällen schlicht ins Leere.
Wenn Mitarbeiter wiederholt den Chef kritisieren, ohne dass es eine Wirkung auf ihn hat, verhält er sich im besten Fall unprofessionell. Im schlimmsten Fall handelt es sich um eine schlechte Führungskraft, der man besser sehr durchdacht begegnet.