Interview mit Albert Kehrer, Vorstand bei der PROUT AT WORK-Foundation
Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt – Wo stehen wir in Sachen Teilhabe von LGBTQIA+ Menschen in der Arbeitswelt?
Im Laufe der letzten Jahre hat sich einiges getan in puncto Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Laut der Studie „Out im Office?!“¹ ist der Anteil der LSBT*-Befragten, die mit allen Kolleg:innen offen über ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sprechen, von 2017 bis 2023 kontinuierlich gestiegen.
Dennoch hat sich die Häufigkeit der berichteten Diskriminierungserfahrungen nur geringfügig verändert, das heißt queere Menschen sind auch im Jahr 2024 von Diskriminierung und Benachteiligung am Arbeitsplatz betroffen. Die häufigsten Diskriminierungserfahrungen sind ein unangenehmes Interesse am Privatleben, übergriffige Fragen in Bezug auf die eigene Geschlechtsidentität sowie sexuelle Identität und Tuscheln bzw. die Verbreitung von Gerüchten oder Lügen.
Menschen, die mehrfach von Diskriminierung betroffen sind, haben es in der Arbeitswelt besonders schwer. Die Studie „The L-Word in Business“² fand heraus, dass eine lesbische Bewerberin fast ein Drittel weniger positive Reaktionen auf ihre Bewerbung bekam als die heterosexuelle Bewerberin.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten? Welche Berufe und Branchen sind davon besonders betroffen?
Manche Personen fühlen sich von Vielfalt im Unternehmen und insbesondere von diversen Teams in ihrer Position bedroht – sie haben Angst vor Veränderung. Zudem ist ein Umdenken erforderlich: Bestehende Strukturen aufzuheben ist ein organisatorischer Aufwand – besonders in konservativen, stark von Traditionen geprägten Branchen – und benötigt eine klare Linie und Role Models in der Geschäftsführung.
Wir bei PROUT AT WORK beobachten, dass vor allem große Unternehmen und Konzerne die Wichtigkeit von Vielfalt im Unternehmen erkannt haben und auch entsprechende finanzielle Mittel für Diversity-Schulungen, Recruiting-Maßnahmen etc. bereitstellen. Im Mittelstand hingegen sind Strukturen eher festgefahren, und insbesondere abseits der deutschen Großstädte findet queere Vielfalt in der Arbeitswelt leider noch zu wenig statt.
Vermutlich wird es immer Beschäftigte geben, für die Diversität im Unternehmen keinen hohen Stellenwert hat. Umso wichtiger ist es, dass die Geschäftsführung die Wichtigkeit von Vielfalt am Arbeitsplatz erkannt hat und sich dementsprechend intern sowie extern positioniert.
Warum ist Offenheit für vielfältige Gender-Identitäten immer noch eine Herausforderung – für Beschäftigte und für Arbeitgeber?
Aus meiner Sicht beschränkt sich diese Herausforderung nicht nur auf den Arbeitsplatz, sondern lässt sich in der gesamten Gesellschaft beobachten. Lange Zeit waren schwule Männer das Feindbild unserer Gesellschaft – vor allem während der HIV/AIDS-Pandemie. Seit ein paar Jahren verlagert sich dieser Hass auf Geschlechtsidentitäten abseits der Binarität, zum Beispiel trans* oder nicht-binäre Personen. TERFs („Trans-Exclusionary Radical Feminists“) beispielsweise sprechen trans* und auch intergeschlechtlichen Menschen ihre Identität sowie die Zugehörigkeit zur feministischen Bewegung ab. Diese Diskriminierung gegenüber trans* und nicht-binären Personen wird auch immer stärker von konservativen oder rechten Parteien befeuert – eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet.
Was raten Sie Beschäftigten für den Umgang mit ihrer eigenen Sexualität und Geschlechteridentität am Arbeitsplatz? Wie mit Vorbehalten umgehen? Wo und wie Unterstützung holen?
Wir bei PROUT AT WORK bieten zum Beispiel ein Coming Out Seminar an, in dem queere Mitarbeiter:innen – egal ob sie schon geoutet sind oder nicht – über die Möglichkeiten eines Coming Out am Arbeitsplatz erfahren und sich austauschen können.
Zudem finden queere Beschäftigte in vielen Unternehmen Unterstützung in queeren Mitarbeiter:innennetzwerken. Dort können queere Beschäftigte aktiv dazu beitragen, dass das Thema Vielfalt im Unternehmen erkannt und gefördert wird.
Natürlich muss jede queere Person selbst entscheiden, ob und wie sie im Unternehmen out sein möchte. Dennoch empfehle ich jeder:jedem, ihr:sein authentisches Ich zum Arbeitsplatz zu bringen. Denn wer offen mit der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität am Arbeitsplatz umgeht, leistet bessere Arbeit und ist zufriedener.
Was raten Sie Arbeitgebern, um die Akzeptanz, Wertschätzung und Entwicklung von LGBTQIA+ Menschen zu fördern?
Arbeitgeber:innen sollten im ersten Schritt reflektieren, wo sie in Sachen Vielfalt im Unternehmen stehen. Hier hilft oft ein neutraler Blick von außen. Im Anschluss sollten Arbeitgeber:innen entsprechende Schritte einleiten, um queere Vielfalt und Allyship im Unternehmen zu fördern. Dies kann zum Beispiel durch Schulungen der gesamten Belegschaft oder Workshops erfolgen – oder durch Informationsmaterial, das an leicht zugänglichen Orten im Büro, den Produktionsstätten etc. ausgelegt wird.
Vielfalt muss im gesamten Unternehmen gelebt werden – von der Vorstandsebene bis zu Blue Collar Mitarbeiter:innen. Demnach braucht es auf jeder Ebene Role Models, die out & proud im Unternehmen sind und queerer Vielfalt Sichtbarkeit verleihen.
Beispiel Stellenanzeige: Was braucht eine offene Anzeige?
Eine offene und möglichst inklusive Stellenanzeige sollte genderinklusive Sprache beinhalten, die alle Bewerber:innen gleichermaßen anspricht. Zudem sollten Unternehmen in Stellenanzeigen eine diverse Bildsprache verwenden, also nicht nur weiße, überwiegend männliche cis-Personen, sondern auch People of Colour oder Menschen mit Behinderung abbilden.
Zudem fühlen sich queere Bewerber:innen umso mehr angesprochen und inkludiert, wenn in der Anzeige direkt deutlich wird, welche Angebote es für queere Mitarbeitende gibt. Hier können Firmen zum Beispiel die Existenz eines queeren Mitarbeiter:innennetzwerks oder konkrete Diversity-Initiativen benennen.
Beispiel Bewerbungsprozess. Wie funktioniert ein offenes Job-Interview?
Ziel eines offenen und inklusiven Jobinterviews sollte es sein, allen Bewerber:innen dieselben Chancen einzuräumen und entsprechende Hindernisse zu beseitigen – seien es zum Beispiel physische oder auch sprachliche Barrieren.
Neben genderinklusiver Sprache sollten Recuriter:innen darauf achten, stets die bevorzugten Pronomen der interviewten Person zu verwenden. Ein standardisierter Fragebogen für das Gespräch kann helfen, allen Bewerber:innen dieselbe Ausgangssituation zu ermöglichen.
Da die Recuriter:innen bzw. HR-Abteilungen, die das Gespräch leiten, das Unternehmen in diesem Moment repräsentieren, sollten diese die Diversität des Unternehmens widerspiegeln. Hier sollten Unternehmen auch entsprechende Schulungen anbieten, um Recuriter:innen für das Thema zu sensibilisieren.
Welcher Aspekt der Chancengerechtigkeit für LGBTQIA+ Menschen wird aus Ihrer Sicht noch zu wenig diskutiert/berücksichtigt?
Wir dürfen die verschiedenen Diversitätsdimensionen wie sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität, Alter, soziale Herkunft, körperliche und geistige Fähigkeiten und viele weitere nicht unabhängig voneinander sehen – denn Diversitätsmerkmale und -eigenschaften treten nie allein auf, sondern immer in Verbindung mit anderen Eigenschaften. Demnach sind zum Beispiel lesbische Frauen nicht nur von Queerfeindlichkeit, sondern auch von Sexismus, also Mehrfachdiskriminierung betroffen. Wir bekämpfen Diskriminierung also nicht, wenn wir uns nur für queere Vielfalt einsetzen, sondern wir müssen alle Dimensionen von Diversität mitdenken.
¹Frohn, D. & Heiligers, N. (2024). »Out im Office?!« Die Arbeitssituation von LSBTIQA* Personen in Deutschland. IDA | Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung.
²Prof. Dr. Regine Graml, Prof. Dr. Tobias Hagen, Prof. Dr. Yvonne Ziegler, Dr. Kristine Khachatryan, Ricky Astrida Herman, M. A. »The L-Word in Business«
New Work Trendreport #4
Chancengerechtigkeit am Arbeitsmarkt bedeutet, dass jeder Mensch unabhängig von individuellen persönlichen Merkmalen und Entscheidungen, sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter die gleichen Möglichkeiten hat, sein volles Potenzial zu entfalten. Der vierte Teil der Trendreport-Serie von Randstad „Gerechte Chancen, starkes Team: Die Zukunft auf dem Arbeitsmarkt” beleuchtet die Problematik, bestehendes Potenzial an Arbeitnehmern zu heben. Jetzt Trendreport #4 downloaden!
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