Für die Inklusion von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz braucht es individuelle Lösungen und eine kooperative Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure. Davon sind Simone Hauck und Lydia Wegerich überzeugt. Beim Jobcenter Schwerin begleiten die Reha-Integrationsfachkraft und die Teamleiterin Menschen mit Behinderung auf ihrem beruflichen Weg. Im Beitrag teilen die Expertinnen Erfahrungen zur Inklusion und geben Tipps für Unternehmen, wie die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gelingt.
Simone Hauck (links) und Lydia Wegerich vom Jobcenter Schwerin
Sie helfen Menschen mit Behinderung, in Beschäftigung zu kommen. Wie machen Sie das? Mit welchen Fällen und Fragen kommen Kandidaten auf Sie zu?
Simone Hauck: Wir erstellen in der Beratung eine Stärkenanalyse, fokussieren uns auf das, was die Kund:innen können, und arbeiten die Punkte heraus, bei denen es Handlungsbedarf gibt. Die Herausforderungen können ganz unterschiedlich gelagert sein: Sie können in den Lebensumständen der Kund:innen liegen. Vielleicht gibt es familiäre Schwierigkeiten oder eine Sucht- und Schuldenproblematik. Sie können ihre Ursachen aber auch in den gesundheitlichen Gegebenheiten haben, etwa beim Zugang zum Arbeitsplatz für Menschen mit Gehbehinderung oder die Nutzung von PC-Anwendungen für jemanden mit einer Sehbehinderung.
Menschen haben je nach ihrer Art von Behinderung unterschiedliche Bedürfnisse und Möglichkeiten. Wie gehen Sie damit um? Welche Lösungen erarbeiten Sie gemeinsam mit den Kandidat:innen?
Simone Hauck: Wir helfen mit persönlichen Gesprächen. Wichtig ist: Die Lösungsansätze können und müssen so vielfältig sein wie die Bedürfnisse unserer Kund:innen. Wir bieten Maßnahmen bei Bildungsträgern, können Praktika bei Arbeitgebern vermitteln, finanzieren Coachings und Qualifizierungen und arbeiten eng mit anderen Behörden zusammen. Unsere Kund:innen kommen zu uns mit Fragen zur Führerschein- und PKW-Förderung. Es kann auch darum gehen, einen PKW behindertengerecht auszustatten. Fördermöglichkeiten in Unternehmen sind häufig von Interesse, außerdem arbeitsplatzbezogene Einrichtungen wie spezielle Blinden- und Sehbehindertenprogramme für PC.
Wie arbeiten Sie mit dem Jobcenter daran, die Chancengerechtigkeit für Menschen mit Behinderung zu fördern?
Lydia Wegerich: Chancengerechtigkeit bedeutet ja in Abgrenzung zur Chancengleichheit eben nicht, dass wir für alle die möglichst gleiche Förderung gewähren, sondern jeder erhält die Unterstützung, die sie oder er braucht. Wo es nötig ist, setzen wir den Fokus auf die gesundheitlichen Einschränkungen und versuchen, durch gezielte Förderung Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Wir können an den gesundheitlichen Beeinträchtigungen unserer Kund:innen nichts ändern — aber wir können dazu beitragen, dass Menschen durch gesundheitliche Einschränkungen nicht am Arbeitsmarktzugang be-hindert werden. Das ist unser Ziel.
Wie unterstützen Sie Kandidat:innen konkret bei der Bewerbung?
Lydia Wegerich: Wenn wir beim Bewerbungscoaching auf die Expertise von Bildungsträgern wie Randstad zurückgreifen – und das tun wir häufig –, ist es für uns als Behörde wichtig, Neutralität zu wahren. Das heißt, die Kund:innen, egal ob mit oder ohne gesundheitliche Einschränkungen, entscheiden selbst, mit welchem Bildungsträger sie zusammenarbeiten möchten. Besondere Aspekte sind dann neben eventuellen Anforderungen an leidensgerechte Arbeitsplätze auch die Qualifikationen, der berufliche Werdegang, die persönlichen Rahmenbedingungen und die Notwendigkeit, dies als Gesamtpaket beim potenziellen Arbeitgeber zu platzieren.
Wo haben Unternehmen Beratungsbedarf bei der Beschäftigung behinderter Menschen?
Lydia Wegerich: In erster Linie geht es den Unternehmen um die möglichen Auswirkungen der Einschränkung auf die berufliche Tätigkeit. Wir alle kennen den Ausdruck: Man ist nicht per se behindert, man wird behindert. Und Arbeitgeber wollen eben genau dies vermeiden. Es geht also zum einen um Arbeitsplatzausstattung zur Sicherstellung eines leidensgerechten Tätigkeitsfeldes und zum anderen um Förderleistungen. Oder es kommt die Frage auf, wie man einen Menschen mit psychischen Einschränkungen in ein Team integrieren kann. Arbeitgeber möchten hier verständlicherweise keine Fehler machen.
Was empfehlen Sie Unternehmen?
Lydia Wegerich: Trauen Sie sich, stellen Sie auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen ein. Man könnte auch provokativ die Frage stellen: Können wir es uns derzeit leisten, auf einen ganzen Personenkreis voll Potenzial zu verzichten? Eine positive Tendenz lässt sich bereits beobachten. Qualifikationen bzw. Abschlüsse oder Zertifikate sind heute kein K.O.-Kriterium mehr. Immer wieder hören wir von Arbeitgebern: Die Motivation der Kandidat:innen ist das Wichtigste. Das gilt für Menschen mit und ohne Behinderungen. Die Unternehmen haben zum großen Teil erkannt, dass es leichter ist, motivierten Menschen Qualifikation zukommen zu lassen. Wir bemerken in Zeiten des Arbeitskräftemangels eine erhöhte Bereitschaft, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen einzustellen. Eine positive Entwicklung!
Und was raten Sie Kandidat:innen?
Lydia Wegerich: Bleiben Sie dran, verlieren Sie nicht den Mut und holen Sie sich Hilfe. Wenn Sie Leistungen nach dem SGBII beziehen, ist das Jobcenter Ihr erster Ansprechpartner. Hier können Kontakte zu Netzwerkpartnern geknüpft werden, hier erhalten Sie Unterstützung, es können Coachings vermittelt werden.
Sie haben mit Karsten Boomgaarden einen Kunden mit Behinderung nach längerer Auszeit erfolgreich vermitteln können. Was war das Besondere an seiner Situation? Und welche Faktoren waren bei der erfolgreichen Vermittlung wichtig?
Simone Hauck: Unser größter Erfolgsfaktor war das perfekte Zusammenspiel aller beteiligten Akteure, uns als Jobcenter und in diesem Fall Randstad als Bildungsträger, der das Bewerbungscoaching koordinierte und den Kontakt zum potenziellen Arbeitgeber herstellte. Und, ganz wichtig, Herr Boomgaarden. Er war von Anfang an hoch motiviert, Arbeit aufzunehmen, trotz anfänglicher Hürden. Hier war es wichtig für mich, motivierende Gespräche zu führen, ihm immer wieder seine Stärken vor Augen zu halten und im weiteren Verlauf auch mal ein Bewerbercoaching anzubieten. Herr Boomgaarden hat sich für das Coaching bei Randstad entschieden und das hat sich für ihn als gute Wahl erwiesen.
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