Shared Leadership: Wenn mehrere Mitarbeiter gleichzeitig den Hut aufhaben
Unternehmen sehen sich heute einem der größten Umbrüche seit vielen Jahrzehnten gegenüber. Die Arbeitswelt verändert sich, die jüngeren, in den Arbeitsmarkt drängenden Generationen stellen neue Anforderungen an ihren Arbeitgeber und altgediente Führungsmodelle funktionieren so nicht mehr. Zugleich erfordern die Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse sowie die fortschreitende Globalisierung der Märkte mehr Flexibilität, Resilienz und die Fähigkeit, schnell auf unerwartete Veränderungen zu reagieren.
Shared Leadership ist ein noch junges Führungsmodell, das vor diesem Hintergrund die Verantwortung unter mehreren Mitarbeitern aufteilt. Dies ermöglicht die zeitgemäße Führung von Abteilungen und Projektteams. Erfahren Sie in diesem Beitrag, was man unter Shared Leadership genau versteht, wie die geteilte Führung funktioniert und welche Vor- und Nachteile das Führungsmodell hat.
Was ist Shared Leadership?
Wörtlich übersetzt bedeutet Shared Leadership so viel wie „geteilte Führung“. Das gibt bereits einen Hinweis darauf, was sich dahinter verbirgt: Der Arbeitgeber verteilt die Verantwortung für Entscheidungen und Arbeitsergebnisse auf mehrere Mitarbeiter, die sich die Führungsaufgaben dauerhaft oder nur temporär teilen.
Dabei ist nicht vorgegeben, wer sich an Shared Leadership beteiligen darf. Denkbar sind verschiedene Modelle:
- Mehrere Mitarbeiter wickeln gemeinsam ein Projekt mit wechselnden Verantwortlichkeiten ab.
- Wie beim Jobsharing teilen sich zwei Führungskräfte eine Leitungsposition in Voll- oder Teilzeit. Das Teilen einer Führungsfunktion wird auch als Topsharing bezeichnet.
- Zwei Führungskräfte teilen sich eine Stelle und teilen die Aufgaben untereinander auf (z. B. in eine fachliche Leitung und einen Personalverantwortlichen). Dies ist ebenfalls Topsharing, nur in einer anderen Form.
- Eine Führungskraft überträgt Verantwortung an einen oder mehrere Mitarbeiter und/oder bezieht diese vermehrt in Entscheidungen ein.
Es gibt inzwischen viele Bestrebungen, die Führungsarbeit kollaborativer zu gestalten. Deshalb entstanden im Laufe der Zeit viele Modelle, die Shared Leadership ähneln, darunter Collective Leadership, Distributive Leadership, Collaborative Leadership oder Joint Leadership.
Lesetipp
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mehr erfahrenAbgrenzung
Shared Leadership ist ein Führungsmodell, das der traditionellen Führung konträr gegenübersteht. In vielen Unternehmen sind noch heute Top-Down-Führungsstile weitverbreitet. Eine Führungskraft übernimmt die Führung, trifft die Entscheidungen, gibt die Marschrichtung vor und verteilt Aufgaben an die Mitarbeiter.
Shared Leadership hingegen setzt auf den Bottom-up-Ansatz, bei dem mehr oder weniger alle Mitarbeiter in die Führungsarbeit einbezogen werden. Sie erhalten eigene Entscheidungsbefugnisse und übernehmen mehr Verantwortung. Je nach Umsetzung von Shared Leadership in der Praxis gibt es noch eine zentrale Führungskraft, die den Rahmen absteckt oder unterstützend tätig ist – oder die Organisation verzichtet vollständig auf die klassische Führungskraft.
Eignung von Shared Leadership
Shared Leadership eignet sich als Führungsmodell, wenn die Verantwortung für komplexe Aufgaben oder umfangreiche Projekte auf mehreren Schultern verteilt werden soll. Nach der zeitlichen Warte unterscheidet man:
- Temporärer Ansatz:
Shared Leadership lässt sich projektbasiert einsetzen. Die Mitarbeiter übernehmen beispielsweise in einem Projekt Verantwortung im Führungsbereich und wechseln danach (oder auch in anderen, parallel laufenden Projekten) in ihre normale Mitarbeiterrolle zurück. - Dauerhafter Ansatz:
Ganze Abteilungen lassen sich mit Shared Leadership organisieren, etwa mit dem Topsharing-Modell, bei dem sich zwei Führungskräfte die Leitungsfunktion teilen.
Zudem ist Shared Leadership als transformationales Führungsmodell einen Versuch wert für Unternehmen, die eine generelle Veränderung ihrer Führungsarbeit hin zu agilen Methoden mit mehr Selbstbestimmung der Mitarbeiter anstreben.
Ablauf von Shared Leadership
Es gibt kein festes Regelwerk oder Richtlinien, die Teams bei der Umsetzung der geteilten Führung einen Rahmen vorgeben. Entsprechend schwierig ist es, Shared Leadership in der Praxis umzusetzen. Die folgenden Punkte sind jedoch bei der Etablierung der Tandem-Führung besonders wichtig.
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1. Definition der neuen Rollen von Mitarbeitern und Führungskräften
Mit Shared Leadership nehmen alle Teammitglieder eine neue Rolle ein. Die bisherige Führungskraft gibt Verantwortung ab. Die Mitarbeiter werden künftig an Entscheidungen beteiligt und müssen einen erweiterten Aufgabenbereich abdecken. Entsprechend wichtig ist es, die neuen Rollen zu definieren. So ist etwa festzulegen, welche Funktion die Führungskraft künftig noch haben wird. Behält sie das letzte Wort bei Entscheidungen? Berät sie die Mitarbeiter oder leitet sie sie an? Werden die Rollen nicht klar definiert, besteht die Gefahr von Missverständnissen und Konflikten.
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2. Akzeptanz des Führungsmodells
Der Erfolg von geteilter Führung steht und fällt mit der Akzeptanz der Beteiligten. Sieht die Führungskraft die Abgabe von Verantwortung als versteckte Degradierung, kann dies zu einer Atmosphäre von Neid und Missgunst führen. Demgegenüber sind auch Mitarbeiter eine Herausforderung, die den erweiterten Entscheidungsspielraum nicht ernst nehmen, als „Abwälzung“ von Arbeit empfinden oder sich nicht darauf einlassen wollen. Die Akzeptanz aller Beteiligten nimmt deshalb eine Schlüsselrolle ein.
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3. Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen
Ein weiterer Erfolgsfaktor für Topsharing-Modelle ist eine klare Aufgabenverteilung auf die an der Führung beteiligten Teammitglieder. Zu definieren sind außerdem Befugnisse, Kompetenzen und Entscheidungsspielräume. Der Arbeitgeber sollte sicherstellen, dass alle Personen im Team wissen, wer wofür zuständig ist, um Rivalitäten untereinander vorzubeugen.
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4. Richtlinien für die Kommunikation
Die Kommunikation in Modellen von Shared Leadership ist zunächst erschwert, weil wegen der variierenden Kompetenzen Unklarheiten oder Missverständnisse drohen. Konnten bisher relevante Informationen einer einzigen Führungskraft zugetragen werden, sind jetzt mehrere Personen zuständig. Je klarer die Rollen und Aufgaben verteilt werden, desto einfacher wird die Kommunikation.
Wechselnde Führungsrollen ziehen in jedem Fall einen erhöhten Abstimmungsbedarf nach sich. Detaillierte Kommunikationsregeln sowie regelmäßige Meetings für Austausch und Steuerung sind erforderlich.
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5. Anpassung der Prozesse
Durch die geteilte Führung verändern sich auch die Abläufe im Unternehmen. Um für mehr Klarheit zu sorgen, sollten diese in Zusammenarbeit mit den Beteiligten angepasst und optimiert werden. Dies hilft auch dabei, Zuständigkeiten und Rollen noch klarer herauszuarbeiten. Handelt es sich nicht um ein einfacheres Topsharing-Modell, sondern um einen komplexen Fall der geteilten Führung, kann es sinnvoll sein, die Arbeitsprozesse vollständig neu zu definieren.
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6. Rückkehr zur alten Struktur
Shared Leadership wird häufig lediglich temporär eingesetzt, etwa um die krankheitsbedingte, längere Abwesenheit einer Führungskraft zu kompensieren oder um ein komplexes Projekt schneller zum Erfolg zu führen. Damit dieser übergangsweise Führungswechsel funktioniert, müssen alle Beteiligten bereit sein, nach dem Ende in ihre angestammten Positionen zurückzukehren – die Führungskraft in ihren Alltag mit der vollen Verantwortung und die Mitarbeiter in ihre Arbeit, die keine Führungsentscheidungen umfasst.
Teamrollen
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mehr erfahrenShared Leadership Beispiele
Folgende Beispiele zeigen, wie Shared Leadership ausgestaltet werden kann:
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Teilen der Leistungsposition
Ein klassisches Beispiel für Shared Leadership stellt Topsharing dar. Eine Führungskraft steuert eine große Abteilung und muss in diese Verantwortung 50 bis 60 Wochenstunden investieren. Um einem Burn-out vorzubeugen, verteilt der Arbeitgeber die Verantwortung auf zwei Personen in der Führungsposition mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden. Bei diesem Topsharing-Modell können die beiden Führungskräfte entweder im Form des klassischen Jobsharings agieren – beide Mitglieder der Tandem-Führung sind für alle Aufgaben zuständig, nur eventuell an anderen Tagen oder zu anderen Uhrzeiten. Oder sie teilen die Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf.
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Aufteilen der Führungsposition in unterschiedliche Schwerpunkte
Ebenso denkbar – und ebenfalls ein Topsharing-Modell – ist die Aufteilung der fachlichen Führung und der Personalführung. Nicht jeder Fachexperte hat auch die Fähigkeit, Menschen zu führen. Der Gedanke ist also, dass sich ein Mitarbeiter mit Fachexpertise um die fachliche Leitung kümmert und ein Mitarbeiter mit Kompetenzen in der Gesprächsführung, im Management und in der Personalentwicklung übernimmt die Führung der Mitarbeiter.
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Teilen der Projektverantwortung
Shared Leadership kann auch bedeuten, dass die Verantwortung für ein Projekt in mehrere Teile unterteilt und auf mehrere Schultern der Projektmitarbeiter verteilt wird. Bei einem IT-Projekt zur Softwareentwicklung könnte sich etwa ein Team um die Kommunikation mit dem Kunden kümmern, eines um die Programmierung und eines um die Implementierung der Software beim Kunden. Jedem Team steht im Sinne des Shared Leaderships eine Führungskraft vor, die je nach Umfang der Führungsverantwortung zusätzlich am Projekt mitarbeitet.
Shared Leadership Vorteile
Mit Shared Leadership entlasten Arbeitgeber ihre Führungskräfte und bereichern die Führungsarbeit mit mehr Vielfalt. Das Führungsmodell bringt zahlreiche Vorteile mit sich:
- Bessere Entscheidungen: Bei der geteilten Führung bringen mehrere Personen ihre Perspektive in Entscheidungen ein. Auf diese Weise werden sie fundierter und erfolgreicher.
- Entlastung: Die bisher allein agierende Führungskraft gibt Verantwortung ab und erfährt dadurch Entlastung. Dies verringert das Risiko, einen Burn-out zu entwickeln, und steigert die Zufriedenheit der Führungskraft.
- Mitarbeiterzufriedenheit: Auch die Zufriedenheit der Teammitglieder und deren Identifikation mit dem Unternehmen wächst, weil sie zusätzliche Verantwortung übernehmen und in Entscheidungen einbezogen werden.
- Employer Branding: Junge Talente wünschen sich einen Arbeitgeber, bei dem sie sich mehr einbringen können. Starre Hierarchien sind weniger gefragt. Mit Shared-Leadership-Modellen präsentieren sich Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber.
- Bessere Leistungen: Wenn sich mehrere Personen auf den Teil der Führung konzentrieren, mit dem sie sich am besten auskennen, kann dies die Ergebnisse des Teams verbessern.
- Anpassungsfähigkeit: Das Unternehmen kann sich leichter und schneller an Veränderungen anpassen, wenn es flexible Arbeits- und Führungsstrukturen im Unternehmen etabliert.
- Diversität: Shared Leadership schafft bewusst Raum für andere Perspektiven und ermöglicht die Teilhabe der Mitarbeiter an der Förderung. Dies unterstützt die Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz.
Shared Leadership entspricht den Anforderungen an die moderne Arbeitswelt und schafft den Nährboden, auf dem innovative Arbeitszeitmodelle gedeihen, Führung auf Distanz ermöglicht wird und sich eine starke Unternehmenskultur entwickelt.
Shared Leadership Nachteile
Allerdings wird mit Shared Leadership nicht automatisch alles einfacher und besser. Das Führungsmodell steht und fällt mit einer klaren Definition aller Verantwortlichkeiten, Rollen und Kommunikationswege. Häufig beobachtete Nachteile von Shared Leadership:
- Je mehr Personen an Entscheidungen beteiligt sind, desto zeitaufwendiger und komplexer gestalten sich die Entscheidungswege.
- Werden die Verantwortlichkeiten nicht exakt verteilt und definiert, kann es zu Verwirrung und Missverständnissen kommen.
- Die auf mehrere Personen verteilte Führungskompetenz und die wechselnde, geteilte Führung erschweren die Kommunikation.
- Werden zu schnell zu viele Aufgaben übertragen, kann dies zur Überforderung der Mitarbeiter führen. Diese Gefahr ist umso größer, je geringer die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter zuvor ausgeprägt war.
- Die bisherige alleinige Führungskraft gibt bei Shared Leadership Kontrolle ab. Kommt es zu Problemen, kann sie möglicherweise nicht mehr schnell genug gegensteuern.
- Aus der geteilten Führung mit mehreren Personen kann ein hoher Aufwand für die Umstellung der Prozesse resultieren. Für zeitlich abgegrenzte Projekte kann dieser den Nutzen übersteigen.
- Die bestehende Führungskraft könnte Shared Leadership ausnutzen, um unliebsame Aufgaben und Entscheidungen an die Mitarbeiter zu delegieren. Dies kann zum Sinken der Arbeitsmotivation oder sogar zu Überforderung führen.
Fragen und Antworten
Hier beantworten wir Fragen rund um das Thema Shared Leadership.
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Was ist Shared Leadership?
Als Shared Leadership bezeichnet man das Modell der geteilten Führung, bei der die Verantwortung der Führungskraft auf mehrere Schultern verteilt wird. Das Führungsmodell kann dauerhaft angelegt sein, etwa beim Joint Leadership einer Abteilung. Häufig wird es aber auch zeitlich begrenzt für komplexe Aufgaben oder Projekte eingesetzt.
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Welche Vorteile hat Shared Leadership?
Mit Shared Leadership übernehmen weitere Mitarbeiter einen Teil der Führungsarbeit. Dies sorgt für Entlastung bei der Führungskraft und kann die Motivation und Arbeitsmoral der Mitarbeiter stärken. Aus den vielfältigen Perspektiven ergeben sich Chancen für bessere Entscheidungen, mehr Diversität und eine optimierte Anpassungsfähigkeit des Unternehmens.
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Wie funktioniert geteilte Führung?
Bei der geteilten Führung teilen sich mehrere Personen die Führungsrolle. So können sich etwa zwei Personen eine Führungsstelle teilen (Tandem-Führung oder Joint Leadership). Deutlich komplexer sind Führungsmodelle mit wechselnden Leitungsfunktionen, die im Team je nach Bedarf verteilt werden.
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