Die Persönlichkeit eines Menschen zugunsten einer systematischen Personalauswahl vollumfänglich abzubilden – das ist das Ziel von Eignungsdiagnostik in der Personalberatung. Philipp Klein von der Pawlik Consultants GmbH in Hamburg und Constance Vogelgesang, Account Manager Permanent Placement bei Randstad Deutschland, erläutern im Interview die Chancen und Perspektiven des Verfahrens.
Unternehmen stehen im Zwiespalt: Fachkräftemangel hier, Wunsch nach idealen Mitarbeitern da. Was bedeutet das für die Personalberatung?
P.K.: Zum einen geht es natürlich um Geschwindigkeit in der Rekrutierung und zum anderen darum, durch geeignete Methoden den passenden Kandidaten für eine Stelle zu identifizieren.
C.V.: Genau das ist der Schmerzpunkt unserer Kunden: Einerseits müssen Kosten und Ressourcen gesenkt werden, andererseits müssen schneller Ergebnisse vorliegen. Als Partner sind wir gefragt, Lösungen anzubieten. Hier ist der Einsatz valider objektiver Beurteilungsverfahren sehr hilfreich.
Das heißt: Es ist präziseres Arbeiten gefragt, idealerweise mit wissenschaftlich fundierter Genauigkeit?
C.V.: Exakt. Insbesondere bei heiklen Auswahlverfahren von Behörden und öffentlichen Trägern werden Einheitlichkeit, Neutralität und Transparenz im Auswahlprozess immer wichtiger. Hier bieten sich der Einsatz einer externen Beratung in Kombination mit eignungsdiagnostische Verfahren an, da sie Objektivität über den persönlichen Eindruck hinaus garantieren.
P.K.: Wobei der Trend ganz stark dahin geht, Talente zu finden, die dann gezielt weiterentwickelt werden können. Es geht demnach weniger um die Analyse von fachlichen Qualifikationen, sondern vielmehr um die Identifikation von persönlichen Potenzialen.
Sehen wir da, in der Beratung wie bei den Auftraggebern, gerade einen Paradigmenwechsel weg von der Intuition, hin zur Systematik?
P.K.: Eine systematische Personalauswahl ist enorm wichtig, aber bei vielen Unternehmen ja auch schon seit einiger Zeit ein fester Bestandteil der Rekrutierung. Neu ist jedoch das Thema Geschwindigkeit in der Identifikation geeigneter Bewerber oder Talente. Aufgrund des von Ihnen angesprochenen Fachkräftemangels liegen potenziellen Kandidaten meist mehrere Angebote vor und demnach ist es enorm wichtig, schnelle Zusagen geben zu können.
C.V.: Ein Beispiel aus der Praxis: Bei vielen unserer Kundenunternehmen werden im Rahmen des Personalauswahlprozesses aussagekräftige Alternativen zum bewährten Instrument des Assessment Centers gesucht. Hier wird der Zeitraum bis zur finalen Entscheidung von beiden Seiten häufig als zu lang empfunden – und für Unternehmen häufig auch als zu kostenintensiv. Die Potenzialanalyse kann an dieser Stelle die interne Effizienz steigern und die Auswahlkosten senken.
Geschwindigkeit spielt also eine wichtige Rolle?
P.K.: Natürlich, eine große sogar. Sowohl für die Unternehmen, die eine Stelle schnellstmöglich besetzt haben wollen. Aber auch für den Kandidaten, der es als wenig wertschätzend empfindet, wenn er mehrere Wochen auf eine Entscheidung des Unternehmens warten muss.
Was findet, was erkennt die Eignungsdiagnostik, was im herkömmlichen Recruiting übersehen wurde?
P.K.: Mit Hilfe geeigneter Methoden werden nicht nur der Status Quo, also das aktuelle Verhalten erfasst, sondern es können auch ungenutzte Potenziale und somit „zukünftige Stärken“ der Bewerber identifiziert werden. Dies ist insbesondere für die langfristige Entwicklung und Bindung der Mitarbeiter im Unternehmen eine wichtige und sehr nützliche Erkenntnis.
Bedeutet die Nutzung digitaler Tools einen Fortschritt in Richtung „Perfektion des Verfahrens“? Oder dient das mehr der Beschleunigung und Vereinfachung?
P.K.: Ich würde sagen: beides. Die Nutzung digitaler Tools zur Erhebung der Persönlichkeit bietet eine Vielzahl an Vorteilen. Zum einen ist die Durchführung ortsunabhängig, dadurch wird die Reichweite in der Kandidatensuche erhöht. Außerdem ist die Auswertung weniger fehleranfällig und deutlich objektiver. Das Ergebnis eines Kandidaten hängt demnach nicht mehr allein von der subjektiven Einschätzung eines Interviewers oder der situativen Performance am Tag des Bewerbungsgesprächs ab. Darüber hinaus ist es möglich, nicht nur die aktuelle bzw. vergangene Leistung des Bewerbers zu bewerten, sondern auch dessen langfristige Potenziale zu erheben.
Ziel eines guten eignungsdiagnostischen Verfahrens sollte es sein, die Persönlichkeit eines Menschen vollumfänglich abbilden zu können.
„Eignungsdiagnostik“ hört sich ein bisschen medizinisch an. Wie nah kommt das Verfahren dem „Durchleuchten“ eines Patienten?
P.K.: Ziel eines guten eignungsdiagnostischen Verfahrens sollte es sein, die Persönlichkeit eines Menschen vollumfänglich abbilden zu können. Daher können Sie es im Grunde schon mit einem „großen Blutbild“ vergleichen. Wir erhalten eine Vielzahl an Werten, die einen Aufschluss darüber geben, welche Eigenschaften stark oder weniger stark ausgeprägt sind. Den großen Unterschied zur Medizin sehe ich darin, dass es dort meist „gute“ und „schlechte“ Schwellwerte gibt.
Wie geht man mit diesen Werten um?
P.K.: Ein valides Persönlichkeitsverfahren sollte nicht werten. Das bedeutet, jeder Mensch hat individuelle Persönlichkeitsausprägungen, die nicht per se gut oder schlecht sind, sondern immer „zwei Seiten einer Medaille“ darstellen. So kann ein ausgeprägter Hang zum Perfektionismus sehr hilfreich sein, um gewissenhaft, ordentlich und fehlerfrei seine Aufgaben zu erledigen. Auf der anderen Seite führt diese mitunter jedoch auch dazu, dass Aufgaben weniger schnell und pragmatisch umgesetzt werden. Somit entscheidet das Anforderungs- oder Stellenprofil des Kunden darüber, welche Eigenschaften wünschenswert oder eben nicht sind.
C.V.: Durch das Tool der Eignungsdiagnostik können wir – wissenschaftlich fundiert – feststellen, ob ein Kandidat auf das Stellenprofil unseres Kunden passt. Und nicht nur das: Wir können auch Auskunft über Entwicklungspotentiale und Lernfelder geben – über die rein fachliche Qualifikation hinaus.
Wie zuverlässig und wie weitreichend lassen sich aus der Diagnostik Erkenntnisse für die Zukunft ableiten – sowohl mit Blick auf‘s Individuum als auch mit Blick auf die Organisation?
P.K.: Das hängt ganz stark von dem jeweiligen Verfahren ab. Viele Verfahren nehmen eine Typologisierung vor, die davon ausgeht, dass die Persönlichkeit recht stabil und nur wenig veränderbar ist. Es wird also eher der Status Quo, also das aktuelle Verhalten erhoben, die nur wenig Rückschlüsse auf zukünftige Potenziale zulassen. Das von uns genutzte Scan-Verfahren erhebt hingegen auch die unbewussten und langfristigen Treiber einer Person, die auch als „ungenutztes Potenzial“ interpretiert werden können. Wir gehen davon aus, dass die Leidenschaft für ein Thema entscheidend für die Entwicklung von Fähigkeiten in dem Bereich ist. Das „Können“ kommt also über das „Wollen“. Mit dem Wissen darüber, was eine Person auch langfristig antreibt und motiviert, lassen sich sehr konkrete Aussagen über die zukünftigen Potenziale sowie die Passung zur Unternehmenskultur ableiten.
Wie viel „Beratung“ steckt in der Eignungsdiagnostik und wie viel „Entscheidung“?
P.K.: Eignungsdiagnostische Verfahren sollten als Entscheidungshilfe genutzt und nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage eingesetzt werden. Somit sehe ich den „Beratungsteil“ etwas größer als den „Entscheidungsteil“.
Ohne den persönlichen Austausch und eine enge Beratung und Betreuung des Kunden wie auch des Kandidaten geht es nicht.
Gibt es Grenzen des Verfahrens – oder Risiken, deren sich die Anwender bewusst sein müssen?
P.K.: Auch dies ist sehr von den jeweiligen Verfahren abhängig. Man sollte sich z.B. bewusst sein, dass klassische Persönlichkeitsverfahren immer auf einer Selbstauskunft des Kandidaten beruhen. Sozial erwünschte Einflusstendenzen müssen demnach in der Entwicklung dieser Verfahren bzw. in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Bei online-basierten Verfahren kann es ja sogar passieren, dass der Kandidat gar nicht selbst, sondern ein Freund oder der Ehepartner die Fragen beantwortet hat. Deshalb ist es unablässig, dass die Ergebnisse im Rahmen eines Auswahlprozesses mit weiteren Auswahlkriterien – wie z.B. persönlicher Eindruck oder fachliche Qualifikationen – ergänzt werden.
C.V.: Ganz genau. Ohne den persönlichen Austausch und eine enge Beratung und Betreuung des Kunden wie auch des Kandidaten geht es nicht. Letztendlich geben sowohl die Ergebnisse der Eignungsdiagnostik nur in Kombination mit dem persönlichen Eindruck über die Passgenauigkeit eines Kandidaten den Ausschlag für eine Eignungsempfehlung. Hier helfen uns unsere langjährige Erfahrung in der Suche und Auswahl geeigneter Kandidaten enorm.